Klimawandel am Neusiedler See: Wie Wassermangel, Hitze und Bodennutzung die Region verändern

Interview mit Mag. Johannes Selinger

Die Folgen des Klimawandels sind im Raum Neusiedler See längst keine Zukunftsszenarien mehr – sie sind real und spürbar. Auf den zweiten Workshop zur Entwicklung einer nachhaltigen Wassermanagementstrategie folgte ein vertiefendes Gespräch mit dem Umweltberater Mag. Johannes Selinger. Im Interview schildert er, welche klimatischen Veränderungen in der Region zu erwarten sind, was das für Grundwasser, Hitzetage und die Landwirtschaft bedeutet – und welche konkreten Maßnahmen jetzt notwendig sind. Dabei wird deutlich: Ohne strategisches Umdenken auf allen Ebenen – von der Raumplanung bis zur Landwirtschaft – wird es nicht gelingen, die Wasserressourcen der Region langfristig zu sichern.

Der Klimawandel ist in der Region Neusiedler See bereits sicht- und spürbar. Was werden die wichtigsten Veränderungen im Hinblick auf Niederschläge, Grundwasser und Hitzetage sein?

Die Niederschlagsmengen werden sich laut Geosphere Austria im gesamten Osten Österreichs nicht dramatisch ändern, da und dort eventuell sogar leicht zulegen. Das ist allerdings kein Grund zur Beruhigung. Die Niederschlagsmenge pro Jahr bedeutet nämlich nicht, dass diese Menge an Wasser auch tatsächlich lokal verfügbar ist. Zum einen steigt durch die höheren Jahresmitteltemperaturen und eine verlängerte Vegetationsperiode die Verdunstung und zum anderen ändern sich Frequenz und Qualität der Niederschlagsereignisse, zum Beispiel werden die Winter trockener, die Niederschläge generell seltener, dafür heftiger und unberechenbarer. Da Starkregen einen erhöhten Oberflächenabfluss bedingt, kann das Niederschlagswasser nicht vor Ort versickern und wird viel zu rasch in Bäche und Kanäle abgeleitet. Die zunehmende Versiegelung im Siedlungsraum verschlimmert die Situation. Von diesen Veränderungen wird mittel- langfristig auch die Grundwasserdotation negativ beeinflusst.

Bei den Hitzetagen (Tage mit 30°C oder mehr) sehen wir einen deutlichen Trend nach oben, der in den späten 1980er begonnen hat und sich mit steigendem Tempo fortsetzt. Im Bezirk Neusiedl am See liegen wir derzeit bei um die 20 Hitzetage pro Jahr. Sollte der Klimawandel gebremst werden und sich die globale Jahresmitteltemperatur bei +2°C einpendeln, ist in den nächsten 50 Jahren mit etwa 28 Hitzetagen zu rechnen. Sollten schlechtere Prognosen eintreten – und davon ist im Moment leider auszugehen - werden es weit über 40 sein.

 

Wie können Bevölkerung, Landwirtschaft, Kommune und das Land reagieren, um die Folgen des Klimawandels möglichst gering zu halten?

Wir müssen alles unternehmen, um Niederschlagswasser in der Kulturlandschaft und im Siedlungsraum zurück zu halten. Dazu braucht es Anpassungen in der landwirtschaftlichen Praxis (Bodenbearbeitung, Sortenwahl, intelligente Bewässerungstechnik, etc.) genauso, wie die Renaturierung von Flussläufen. Kommunen können die Bauordnung im Siedlungsraum in Richtung Wasserrückhalt ändern (Versickerung auf Eigengrund, Gründächer, versickerungsoffene Beläge). Widmung von Bauland muss auf ein absolutes Minimum begrenzt werden, um intakte Böden zu schützen – das bedeutet im Idealfall die Aufgabe und Rückwidmung von Baulandreserven (Innenentwicklung vor Außenentwicklung). Besonderes Augenmerk ist auf die Aufenthaltsqualität im Freien zu richten und diese kann nur durch Begrünung, insbesondere durch die ökophysiologischen Leistungen von Bäumen gewährleistet werden. Bäume brauchen allerdings ausreichend Wurzelraum, um jahrzehntealt werden zu können und somit eine Krone auszubilden, die eine entsprechende Überschirmung und Blattmasse bietet. In einer Baumscheibe im Straßenraum mit derzeit 3-4m2 ist das nicht möglich – die Bäume sterben schon mit 15-20 Jahren. Wichtig ist daher Altbestandsbäume unter allen Umständen zu erhalten und neue Bäume selbstverständlich als notwendige Infrastruktur mit all ihren Bedürfnissen zu planen.

 

Welche Strategien können eine ökologisch und wirtschaftlich sinnvolle landwirtschaftliche Produktion im Raum erhalten?

Der Osten hat ernährungsstrategische Bedeutung für die österreichische Selbstversorgung und wir müssen uns – rascher, als uns lieb ist – auf wissenschaftlich fundierter Basis damit auseinandersetzen. Ich erlebe in dieser Diskussion im Moment zwei Lager: „Weiter, wie bisher mit verstärkter Investition in die Bewässerungstechnik“ und „Anpassung der landwirtschaftlichen Praxis an die Gegebenheiten mit verstärktem Bodenschutz und neuen Feldfrüchten“ – beide Varianten brauchen ein rasches Umdenken und vor allem große Investitionen. Als Biologe bevorzuge ich den ökologischen Weg der Anpassung, um unsere Resilienz und Biodiversität zu stärken. Das würde aber eine strategische Grundsatzdiskussion über Struktur und Vertriebssystem der Landwirtschaft bedeuten. Den Willen dazu sehe ich im Moment nicht.

Wie erleben Sie die Auswirkungen des Klimawandels in Ihrer Region?
Teilen Sie Ihre Beobachtungen und Ideen mit uns in den Kommentaren!

 

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